Von Susanne Krauzig, Erstveröffentlichung am 15.08.2024 - Eine dicht an dicht gedrängte Pferdeherde im Galopp, wehende Mähnen und romantische Hintergrundmusik: So werden wilde Pferde oft in den Medien dargestellt. Aber wie leben Wildpferdeherden eigentlich wirklich? Und was genau ist ein wildes Pferd – im Unterschied zu domestizierten Pferden? Gibt es überhaupt noch echte Wildpferdeherden oder sind die heutigen frei lebenden Pferde einfach nur verwilderte Hauspferde? Als Unterstützer einer Initiative zum Erhalt von Wildpferden in Griechenland werden wir häufig zu diesen Themen befragt. Hier kommen wissenschaftlich fundierte Antworten.
In der Wissenschaft ist der Ausdruck „Wildpferd“ ausschließlich für Pferde reserviert, die ohne menschlichen Einfluss in freier Natur leben und mit dem Hauspferd (Equus caballus) enger verwandt sind. Die ausgestorbenen Vorfahren unserer Pferde gehören ebenso in diese Kategorie. Bis vor einigen Jahren wurden auch der jetzt ausgestorbene Tarpan und das stark bedrohte Przewalsky-Pferd zu dieser Gruppe gerechnet. Allerdings legen genetische Untersuchungen mittlerweile den Verdacht nahe, dass diese Rassen gar nicht zu den Vorfahren unserer Hauspferde zählen.
Umgangssprachlich werden auch bestimmte Pferderassen wie zum Beispiel amerikanische Mustangs oder australische Brumbies als "Wildpferde" bezeichnet, obwohl eindeutig belegt ist, dass sie von den importierten Pferden der frühen Siedler abstammen. Sie haben sich lediglich durch natürliche Auslese an ihre dortigen Lebensbedingungen angepasst. Die Bezeichnung „Wildpferd“ wird häufig sogar für halbwild lebende Tiere wie beispielsweise Dülmener Ponys, Islandpferde / Islandponys / Isländer und die französischen Camargue-Pferde im Rhone-Delta verwendet.
Erstaunlicherweise gibt es in unserer hochzivilisierten Welt doch noch viele Pferdepopulationen, die völlig wild leben. Brumbies und Mustangs gehören dabei eindeutig zu den zahlenmäßig am stärksten vertretenen Gruppen. Aber du brauchst gar nicht so weit zu reisen, um frei lebende Pferdeherden beobachten zu können. Es gibt auch wilde Pferde in Europa, und zwar in:
Bosnien und Herzegowina
Bosniaken – Bergpferderasse, wild lebende Pferdeherden bei Kupres und Livno
Bulgarien
Karakatschan-Pferd – teilweise wild lebende ursprüngliche Pferderasse in den bulgarischen Bergen
Deutschland
Dülmener – halbwild gehalten in einem 400 Hektar großen Reservat des Herzogs von Croy
Konik – halbwilde Herden zur Landschaftspflege in verschiedenen Regionen
England
Exmoor-Pony – im Exmoor-Nationalpark und anderen Naturschutzgebieten Westeuropas
Dartmoor-Pony – frei lebend im Dartmoor-Nationalpark (Exmoor- x Shetland-Pony)
New-Forest-Pony – halbwilde Population im New Forest
Welsh-Pony – verwilderte Pferdeherden in Wales
Frankreich
Camargue-Pferd – frei lebende halbwilde Herden im Rhone-Delta
Griechenland
Thessalier – wilde und halbwilde Populationen auf dem Olymp
Pindos-Ponys – wilde und halbwilde Populationen im Pindos-Gebirge und auf dem Olymp
Skyros-Ponys – stark bedrohte Population auf der Insel Skyros
Verwilderte Pferde – z.B. auf der Insel Kefalonia, Naturschutzgebiet Berg Aenos
Island
Islandpferd – halbwilde Populationen an beiden Enden der Insel
Italien
Giara-Pferd – wild lebende Pferde auf Sardinien
Monterufoli-Pony – verwilderte Herde im Naturschutzgebiet bei Pisa
Pentro-Pferd – halbwilde Pferdeherden in Sumpfgebieten von Süditalien
Sanfratellano – im Nebrodi-Nationalpark in Sizilien, verwildert
Niederlande
Konik – polnische Robustpferde, halbwild z.B. im Naturentwicklungsgebiet Oostvaardersplassen
Polen
Konik – polnische Robustpferderasse, wild und halbwild in Reservaten westeuropäischer Länder
Portugal
Sorraia – vereinzelte halbwilde Populationen, Mustang x Lusitano
Garrano – frei lebende Pferdepopulation in Nordportugal, im Nationalpark Peneda-Gerês
Rumänien
Rumänisches Bergpferd – halbwild und wild in den rumänischen Bergen
Donau-Delta-Pferd – seit Jahrhunderten frei lebende Pferde im Donau-Delta
Serbien
Serbisches Bergpferd – eine wild lebende Population im Stara-Planina-Naturpark
Spanien
Retuerta – frei lebende Pferderasse im Coto de Doñana-Nationalpark in Andalusien
Asturcon-Pony – wilde Pferdeherden im Gebirge in Nordspanien
Losiño – verwilderte Pferderasse in Nordspanien
Pottoka – verwilderte Pferderasse im Baskenland
Galicisches Pony – wilde Herden in Nordspanien
Ungarn
Huzulen – robuste Ponys, frei lebende Pferdeherden in der Ukraine und in Ungarn
Westlich der Stadt Dülmen in Nordrhein-Westfalen liegt ein 400 Hektar großes, eingezäuntes Naturschutzgebiet: der Merfelder Bruch. Dort befindet sich der größte Wildpferdebestand Deutschlands. Schon im Jahr 1346 wurden die wilden Pferde bei Dülmen urkundlich erwähnt. Damals lebten sie noch wirklich wild in einem Gelände von mehr als 1.000 Hektar.
Durch die fortschreitende Zivilisierung wurde ihr Lebensraum immer stärker eingeschränkt, was die Überlebenschancen der Pferde stark reduzierte. Mitte des 19. Jahrhunderts stellte die Familie des Herzogs von Croy den frei lebenden Tieren ein riesiges Gelände zur Verfügung: die sogenannte „Wildpferdebahn“. In unserer Zeit wurde das Reservat auf 400 Hektar erweitert. Ein Hektar Land ernährt bei extensiver Weidehaltung eine Großvieh-Einheit.
Deshalb ist die Anzahl der Dülmener in der Wildpferdebahn des Herzogs von Croy auf 400 Tiere beschränkt. Jedes Jahr werden aber zahlreiche Fohlen geboren. Deshalb findet schon seit 1907 jeweils am letzten Samstag im Mai der Wildpferdefang in Dülmen statt, bei dem die Jährlingshengste aussortiert werden. Danach können Interessenten im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung ein junges „Wildpferd“ kaufen. Zuschauerplätze für den eigentlichen Wildpferdefang werden online verkauft.
Die Vorfahren unserer Hauspferde lebten teilweise in den weiten Steppen zwischen der Mongolei und dem Kaukasus, aber auch teilweise in den ausgedehnten Waldregionen Eurasiens. Industrialisierung und Zivilisation haben den Lebensraum der wilden Pferde mittlerweile stark eingeschränkt. Sie haben sich in unwegsame Gebirgsregionen, Wüsten und Sumpfgebiete zurückgezogen, in denen der Mensch noch nicht so stark in die Natur eingegriffen hat.
Dort „bewohnen“ sie riesige Territorien von bis zu 30 Kilometern Durchmesser. Sie kennen in ihrem Revier sämtliche Wasserstellen, Weideplätze, windige Gebiete mit wenig Insektenvorkommen, windgeschützte Areale, übersichtliche Stellen für Pausen im Liegen und Plätze, um sich vor starkem Regen zu schützen. In ihrem Territorium fühlen sich die wilden Pferde sicher, weil sie quasi jeden Stock und Stein kennen. Wenn ein eingefangenes Pferd, das aus einer frei lebenden Pferdeherde stammt, entkommen kann, kehrt es in sein Territorium zurück.
Wilde Pferde sind Beutetiere. Also ist es für sie sinnvoll, dass sie nicht unbedingt auf den ersten Blick entdeckt werden. Bei den Vorfahren unserer Hauspferde, die in Steppen lebten, hatte sich eine sandfarbene, beige oder rötlich-braune Fellfarbe als vorteilhaft erwiesen, um mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Waldbewohner profitierten eher von dunkleren Fellfarben wie Schwarz oder Dunkelbraun.
Interessanterweise gab es aber auch schon seit dem Pleistozän Tigerschecken mit einer Fellzeichnung wie beispielsweise bei Knabstruppern oder Appaloosas. Die dunklen Flecken auf hellem Grund – eine genetische Mutation – könnten einen Überlebensvorteil beim Leben in lichten Laubwäldern geboten haben. Auch die Tatsache, dass Tigerschecken empfindlich auf UV-Strahlung reagieren, spricht für diese Theorie. Ansonsten sind typische Anzeichen für „Wildpferdeblut“ solide Hufe, relativ große Köpfe, eventuell ein Aalstrich und ab und zu „Zebrastreifen“ an den Beinen.
Wilde Pferde fressen das, was ihnen die Natur in der jeweiligen Jahreszeit anbietet. Im Frühling, wenn die Stuten viel Milch für die neugeborenen Fohlen produzieren müssen, ist das Grünfutter am energiereichsten. Im Winter können aber (für Pferde) genießbare Pflanzenarten unter Umständen unter Schnee begraben sein. Was fressen die wilden Pferde also im Winter? Freilebende Pferdeherden ernähren sich im Winter auch von Flechten, Moosen und Baumrinden. Wann immer möglich, scharren sie aber den Schnee beiseite, um Gräser freizulegen.
Freilebende Pferdeherden laufen jeden Tag zwischen 20 und 30 Kilometer innerhalb ihres Territoriums. Je nach Jahreszeit und Wetter suchen sie dabei unterschiedlich Plätze auf. Zumeist bewegen sie sich im Schritt – und oft genug grasen sie dabei. Sie laufen dann über verschiedene Untergründe wie Grasland, steinige Pfade, Waldboden, Sandboden und durchqueren auch Wasser.
Auf dem abwechslungsreichen Untergrund werden die Hufe durch den natürlichen Hufmechanismus immer wieder gesäubert. Dabei werden sie so abgenutzt, wie die Winkelung ihrer Gelenke es vorgibt. Wilde Pferde bekommen in ihrem natürlichen Umfeld weder Strahlfäule noch Mauke oder Hufrehe.
Sie existieren in ihrer heutigen Form (Equus caballus) schon seit mindestens 11.000 Jahren – und damals gab es unter Garantie noch keine Hufschmiede, die diese Pferde beschlagen haben. Ihr Hufwachstum ist perfekt auf die Abnutzung ihrer Hufe unter natürlichen Lebensbedingungen abgestimmt. Ansonsten gäbe es heute keine Pferde mehr, weil Raubtiere bevorzugt kranke und lahm gehende Beutetiere erlegen.
Pferdeherden, die bisher keinen direkten Kontakt zu Menschen hatten, ergreifen vor uns Zweibeinern erst einmal die Flucht. Unsere Fortbewegungsweise auf zwei Beinen kommt den Vierbeinern seltsam vor. Außerdem haben Menschen (anders als die meisten Tiere) Arme, mit denen sie eigenartige Bewegungen ausführen. Hinzu kommt, dass sie einen fokussierten Blick wie Raubtiere haben. Ihr Geruch verrät zudem – außer bei Veganern / Vegetariern – dass sie „tote Tiere essen“.
Es ist also völlig verständlich, dass ein wildes Pferd den Kontakt zu Lebewesen unserer Art erst einmal vermeiden möchte. Aber durch kompetente und geduldige Ausbildungsarbeit ist es problemlos möglich, ein Pferd aus einer frei lebenden Herde zu zähmen. Die „Wilden“ sind optimal sozialisiert, weil sie in einer natürlichen Sozialstruktur (mit Hengst) aufgewachsen sind. Sie haben also gelernt, ihren Platz in einem sozialen Gefüge einzunehmen – was bei vielen „Zuchtpferden“ nicht unbedingt der Fall ist und häufig Dominanzprobleme verursacht.
Sie sind auch „cooler“, selbstbewusster und pfiffiger als unsere Hauspferde, weshalb sie sehr schnell lernen und selten einmal in Panik ausbrechen. In der Natur müssen sie immer wieder neue Situationen einschätzen. Das macht sie sehr „flexibel im Kopf“ – was aber auch dazu führen kann, dass sie einfach so aus Spaß Wasserhähne oder Torverriegelungen öffnen. Ein Pferd aus einer freilebenden Herde ist eine Herausforderung, bietet aber auch ein immenses Potenzial.
Quellenangaben
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3219153/
http://www.ebta.co.uk/faq-herd.html
Alle Infos zu den wichtigsten Pferderassen mit Bildern und Steckbrief findest Du hier:
Informationen über frei lebende Pferdeherden und alles zum Thema „Wildpferde“.
Du suchst einen Züchter für eine bestimmte Rasse? Auf Trabland.de wirst Du fündig.
Kompakte Infos für Pferdefreunde. Hier erhältst du Antworten auf die häufigsten Fragen rund um Pferde und Reiter.