Erstveröffentlichung am 09.12.2022 - Ist dein Pferd in letzter Zeit nicht besonders motiviert beim Reiten? Meidet es harten Untergrund oder sperrt es sich gegen enge Wendungen? Braucht es länger als sonst zum Warmwerden und geht es anfangs ohne Schwung?
Das könnten theoretisch die ersten Anzeichen für ein Hufrollensyndrom sein. Es gibt aber auch noch zahlreiche andere Erkrankungen der Vordergliedmaße beim Pferd, die ähnliche Auffälligkeiten hervorrufen können.
Eins ist klar: Irgendetwas ist nicht so, wie es sein soll. Wenn mit Hufen und Beinen alles in Ordnung ist, geht ein Pferd auch problemlos auf hartem Boden. Bei einer Hufrollenentzündung (Podotrochlose) ist das hingegen ziemlich schmerzhaft.
Redaktionelle Mitarbeit: Nelly Sophie Lönker, Medizinredaktion
Diese Seite soll Pferdehalterinnen und Pferdehaltern lediglich Informationen über Krankheiten und Symptome beim Pferd vermitteln. Die Informationen dürfen weder die Beratung oder Behandlung durch einen Tierarzt ersetzen noch dazu verwendet werden, eigenständig medizinische Behandlungen vorzunehmen. Sie dienen nicht zur Selbstdiagnose und/oder Selbstbehandlung und ersetzt keinesfalls die Diagnose durch einen Tierarzt.
Viele Reiter sagen einfach nur "Hufrolle", wenn sie das Hufrollensyndrom meinen. "Syndrom" bedeutet auf Mediziner-Latein, dass irgendwo mehrere Symptome gemeinsam auftreten. In unserem Fall ist das an der Hufrolle.
Aber was ist diese Hufrolle eigentlich genau?
Ganz wie das Wort vermuten lässt, ist die Hufrolle eine Art Roll- oder Gleitmechanismus. Er besteht aus dem Strahlbein (Os sesamoidum distale), dem Schleimbeutel (Bursa podotrochlearis) und dem unteren Teil der tiefen Beugesehne (Sehne des Musculus flexor digitalis profundus). Der Schleimbeutel bildet zusammen mit dem Strahlbein eine Art Gleitlager für die tiefe Beugesehne.
Wenn ein Pferdebein auffußt, kannst du sehen, wie sich der Fesselkopf nach unten bewegt. Das gehört zum "Stoßdämpfersystem" der Equiden (Pferdeartigen). Gäbe es an dieser Stelle keinen "Stoßdämpfer", würde das hohe Gewicht eines Pferdes seine Gelenke in kürzester Zeit verschleißen. So aber geben die Sehnen beim Auffußen nach und fangen einen Teil der nach unten wirkenden Kraft ab. Hinzu kommt der Hufmechanismus, der bei gesunden Hufen ebenfalls einen Teil der Erschütterungen absorbiert. Pferdebeine sind also von Natur aus perfekt dazu ausgelegt, der Wucht beim Auffußen zu widerstehen.
Falsche Zuchtauswahl, unnatürliche Haltungsbedingungen und Überforderung begünstigen allerdings den vorzeitigen Verschleiß der Hufrolle. Für ein Pferd bedeutet das Schmerzen beim Auffussen der erkrankten Beine. Eine Hufrollenentzündung tritt fast ausschließlich an den Vorderbeinen auf, wobei häufig beide Gliedmaße betroffen sind. Podotrochlose ist eine chronisch-degenerative Erkrankung. Bereits aufgetretene Schäden sind nicht rückgängig zu machen. Mit der richtigen Behandlung kann der degenerative Prozess jedoch gestoppt werden. Auch die Schmerzen können sich verbessern oder völlig verschwinden, wenn das Pferd sachkundig behandelt wird.
Pferde sind Lauftiere, die in der Natur den größten Teil ihres Tages damit verbringen, sich mit gesenktem Kopf in langsamem Tempo Schritt für Schritt fortzubewegen. Sie galoppieren nur bei Gefahr, im Spiel oder z.B. bei Rangkämpfen. Ihre Muskeln, Sehnen und Knochen haben sich für diese Art von Leben entwickelt. Sie können zwar viel Leistung im Pferdesport erbringen, müssen dazu aber über einen langen Zeitraum hinweg sachkundig ausgebildet werden.
Das Hufrollensyndrom ist zumeist, wie so viele andere Pferdekrankheiten auch, menschengemacht. Durch Überbeanspruchung der Vordergliedmaße wegen mangelndem Einsatz der Hinterhand, durch spektakuläre Stopps oder hohe Sprünge und durch zu frühes Anlongieren oder Reiten werden die mechanischen Strukturen der Hufrolle geschädigt und verursachen Schmerzen in der Bewegung. Folgende Symptome können auf ein Hufrollensyndrom hinweisen:
Hier die Symptome, die auf ein Hufrollensyndrom hinweisen:
Neben sportlicher Überlastung scheint bei der Entstehung des Hufrollensyndroms auch die genetische Prädisposition eine gewisse Rolle zu spielen. Bei Ponys und Eseln tritt fast nie eine Hufrollenentzündung auf. Auch Araber und Friesen sind nur selten betroffen. Warmblutpferde, Quarter Horses und Vollblüter leiden hingegen überdurchschnittlich oft unter Podotrochlose.
Mangelhafte Durchblutung spielt ebenfalls eine Rolle: Boxenpferde entwickeln wesentlich häufiger ein Hufrollensyndrom als Pferde, die im Offenstall gehalten werden. Naturgemäße Bewegung auf der Koppel unterstützt die korrekte Durchblutung von Huf und Hufrolle. Auch zu weit auseinander liegende Beschlagintervalle / Hufkorrekturen können zur Folge haben, dass Hufrolle und tiefe Beugesehne unnötig belastet werden, weil die Winkelung des Hufs im Laufe der Zeit unter Umständen nicht mehr mit dem Winkel der Fessel übereinstimmt.
Wenn dein Pferd zum ersten Mal einige der oben beschriebenen Symptome zeigt, hat es höchstwahrscheinlich eine akute Hufrollenentzündung. Da ist Reiten natürlich nicht mehr angesagt. Bei fachgerechter Behandlung kann diese Entzündung gestoppt werden und mit etwas Glück und etwas besserem Stallmanagement entstehen daraus keine ernsthaften Folgeschäden.
Allerdings entwickelt sich das Hufrollensyndrom schleichend und verursacht in der Anfangsphase noch keine leicht wahrnehmbaren Symptome. Es gibt allerdings auch Pferde, die "ihre Zähne zusammenbeißen", wenn ihnen etwas wehtut. Sie bringen die geforderten Leistungen trotz ihrer Schmerzen. Als Fluchttiere sind sie so programmiert, dass sie sich möglichst nichts anmerken lassen, wenn es ihnen nicht gut geht. Ansonsten wäre das ja eine Einladung an Beutegreifer. Also kann es sein, dass du die ersten Entzündungen überhaupt nicht mitbekommen hast. Vor allem, wenn beide Vorderbeine betroffen sind: Dann lahmt ein Pferd nicht, weil es ja kein Bein hat, auf dem es sein Gewicht lieber abstützen möchte. Um herauszufinden, was genau mit der Hufrolle deines Pferdes passiert ist, hilft nur eine Diagnose durch deinen Tierarzt.
Zuerst wird dein Tierarzt dich zu den von dir bemerkten Symptomen befragen. Wahrscheinlich möchte er anschließend dein Pferd in Bewegung sehen, außer die Anzeichen für eine Podotrochlose sind so eindeutig, dass es nicht nötig ist. Er wird wahrscheinlich die Vorderbeine abtasten, um eine eventuelle Sehnenscheidenentzündung festzustellen.
Außerdem wird er verschiedene Beugeproben vornehmen. Das Abtasten des Hufs mit der Hufuntersuchungszange wird heutzutage beim Verdacht auf Podotrochlose kaum mehr angewendet. Eine Studie hat gezeigt, dass nur etwa 10 % der betroffenen Pferde eine eindeutige Reaktion darauf zeigen. Eine sehr eindeutige Diagnosemethode ist aber die Leitungsanästhesie. Dazu wird der Nerv, der den Schmerz von der Hufrolle an das Gehirn weiterleitet, betäubt. So kann ein Fachtierarzt für Pferde gut erkennen, dass sich die Ursache der Schmerzen tatsächlich im Fesselgelenk befindet. Nach der Betäubung lässt er dein Pferd auf hartem Boden an der Longe vortraben. Belastet es das Bein jetzt normal, ist die Diagnose positiv.
Bei einer ambulanten Röntgenuntersuchung können eventuelle Schäden am Strahlbein diagnostiziert werden. Ultraschalluntersuchungen können ebenso ambulant vorgenommen werden. Wenn du dir aber einen umfassenden Überblick über etwaige Schäden an der Hufrolle deines Pferdes wünschst, kommst du an einer Magnetfeldresonanz-Untersuchung nicht vorbei. Zu einem MRT muss dein Pferd allerdings in eine Fachklinik für Pferde. Als Normalsterblicher mit Freizeitreiterbudget kannst du stattdessen aber auch auf die Expertise eines erfahrenen Tierarzts vertrauen.
Eine leichte akute Hufrollenentzündung wird normalerweise mit Entzündungshemmern, Schmerzmitteln und "Boxenruhe" behandelt. Die Wiederherstellung der normalen anatomischen Funktionen unterstützt ein orthopädischer Hufbeschlag. Das gilt auch für Barfußpferde. Der Korrekturbeschlag verlagert das Gewicht von der schmerzhaften Trachte mehr in Richtung Hufzehe, genau das, was ein Pferd mit Hufrollensyndrom instinktiv selbst versucht. Gleichzeitig entlastet er dabei die angegriffene Hufrolle. Dein Tierarzt sollte sich deshalb mit deinem Hufschmied / Hufpfleger absprechen.
Schmerzmittel und Entzündungshemmer sind bloß Symptomtherapie. Ein orthopädischer Korrekturbeschlag greift hingegen das Übel an seiner Wurzel an. Bei fortgeschrittenen Abnutzungserscheinungen kann es notwendig werden, deinem Pferd Hyaluronsäure und Glucocorticoide direkt in das Gelenk zu injizieren, damit es sich weiterhin schmerzfrei bewegen kann.
Das Hufrollensyndrom ist eine chronisch-degenerative Erkrankung und sollte nur durch einen entsprechend ausgebildeten Tierarzt diagnostiziert werden. Es ist einfach nicht fair, mit dem Schmerzpotenzial unserer Pferde zu pokern, nur, weil sie nicht winseln können wie ein Hund.
Wenn du weißt, was genau bei deinem Pferd Sache ist, kannst du bessere Entscheidungen treffen und dich für eine geeignete Therapie entscheiden. Zusatzfuttermittel wie Teufelskralle, Ginseng & Co. schaden deinem Pferd in der richtigen Dosierung als Unterstützung der Behandlung durch deinen Tierarzt auf keinen Fall, können aber dem Pferdeorganismus dabei helfen, mit einer Hufrollenentzündung fertig zu werden.
Dasselbe gilt auch für die Homöopathie, die scheinbar gerade bei chronisch-degenerativen Erkrankungen schon äußerst positive Resultate erzielt hat. Allerdings solltest du bei tendenziell chronischen Krankheiten nicht selbst herumexperimentieren, sondern eher einen erfahrenen Tierheilpraktiker für Pferde hinzuziehen.
Halte dein Pferd so naturnah wie möglich. Kaufe kein Pferd, das schon mit vier oder fünf Jahren beeindruckende sportliche Leistungen vollbringt.
Wenn du dein Pferd selbst anreitest: Gib ihm zwei Jahre lang Zeit, um zu lernen einen Reiter zu tragen, ohne sich dabei wehzutun. Lass die Hufe deines Pferdes mindestens alle zwei Monate korrigieren / neu beschlagen. Gönne deinem Pferd soviel Auslauf wie möglich, damit die korrekte Durchblutung seiner Hufe sicher gestellt ist.
Ein Hufrollensyndrom ist vermeidbar, auch wenn bei bestimmten Rassen eine größere Affinität zur Podotrochlose festgestellt wurde als bei anderen. Falls dein Pferd bereits eine Stützbeinlahmheit zeigt, solltest du einen Termin mit deinem Tierarzt ausmachen. Wenn die Erkrankung rechtzeitig behandelt wird sich kann sich Dein Pferd trotzdem noch lange Zeit schmerzfrei bewegen und auch geritten werden.
Quellenangaben
https://www.msdvetmanual.com/musculoskeletal-system/lameness-in-horses/navicular-disease-in-horses
https://www.researchgate.net/publication/7359912_Navicular_disease_A_review_of_what's_new
https://flexikon.doccheck.com/de/Podotrochlose-Syndrom_(Pferd)
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S073708069680061X
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