Kreuzverschlag bei Kaltblütern ist schon seit Jahrhunderten dokumentiert. Dabei handelt es sich um eine Stoffwechselerkrankung bei Pferden, die nach Belastung Kombination mit übermäßiger Stärke Symptome wie verhärtete Kruppen- und Lendenmuskulatur, Zittern, Schwitzen, „Erstarren“ und dunkel gefärbten Urin verursachen kann. Allerdings hat sich seitdem einiges verändert. Mittlerweile zeigen unzählige Pferde unterschiedlichster Rassen gelegentlich solche oder weniger ausgeprägte Symptome. Sportpferde sind besonders häufig betroffen. Manchmal läuft ein Pferd nur steif und langsam, ohne besonders auffällige Krankheitsanzeichen zu zeigen. Es könnte aber trotzdem zu den Tieren gehören, die aufgrund eines Gendefekts ein besonderes Haltungsmanagement benötigen. Hier erfährst du alles Wissenswerte über PSSM bei Pferden.
Redaktionelle Mitarbeit: Nelly Sophie Lönker, Medizinredaktion
Diese Seite soll Pferdehalterinnen und Pferdehaltern lediglich Informationen über Krankheiten und Symptome beim Pferd vermitteln. Die Informationen dürfen weder die Beratung oder Behandlung durch einen Tierarzt ersetzen noch dazu verwendet werden, eigenständig medizinische Behandlungen vorzunehmen. Sie dienen nicht zur Selbstdiagnose und/oder Selbstbehandlung und ersetzt keinesfalls die Diagnose durch einen Tierarzt.
Die Polysaccharid Speicher Myopathie ist eine genetisch bedingte Krankheit, bei der in den Muskeln eines Pferdes mehr Polysaccharide (langkettige Zuckermoleküle) gespeichert werden als bei gesunden Tieren. Wenn ein Pferd gefressen hat, steigt – ganz wie beim Menschen – der Blutzuckerspiegel an. Ein Teil des Blutzuckers wird vom Körper in Polysaccharide umgewandelt und als Energiereserve in den Muskeln gespeichert.
Ein PSSM-Pferd speichert bis zu vier Mal mehr Zuckermoleküle in seinen Muskeln als ein Pferd mit normal arbeitendem Stoffwechsel. Dadurch funktioniert die Reizweiterleitung in einzelnen Muskelzellen nicht mehr richtig, was unter Umständen den Zelltod zur Folge haben kann. Die Abbauprodukte der abgestorbenen Zellen werden über den Blutkreislauf zu den Nieren transportiert und anschließend mit dem Urin ausgeschieden. Wegen des Muskelfarbstoffs Myoglobin ist der Urin von Pferden bei einem schweren Krankheitsschub dunkler als normal.
Die Stoffwechselerkrankung PSSM wird in zwei Typen unterteilt: PSSM1 und PSSM2
Durch bekannte Mutation bedingte PSSM bei Pferden: PSSM1
Es ist schon seit längerer Zeit bekannt, dass Pferde mit PSSM1 im Gen für das Enzym Glykogensynthetase-1 (GYS1) eine Mutation aufweisen. Diese Mutation ist für die Stoffwechselstörung der Tiere verantwortlich. Das veränderte Gen wird entweder durch ein oder durch beide Elterntiere vererbt. Wenn beide Elterntiere Träger der Mutation waren, besitzt das betroffene Pferd dieses veränderte Gen zwei Mal. In den meisten Fällen sind solche Tiere stärker von der Krankheit betroffen als Pferde, bei denen nur ein einziges Gen verändert ist. Zur Diagnose dieses Krankheitstyps gibt es einen Gentest, dessen Zuverlässigkeit durch mehrere Studien belegt wurde. PSSM kann aber auch durch Veränderungen in der Muskelbiopsie diagnostiziert werden.
PSSM2 beim Pferd: die große Unbekannte
Pferde, die zwar die typischen PSSM-Symptome zeigen, bei denen aber keine Mutation auf dem GYS1-Gen festgestellt wird, haben unter Umständen PSSM2. Bei einer Muskelbiopsie zeigen sich dieselben krankheitsbedingten Veränderungen wie bei PSSM1. Es wird aktuell davon ausgegangen, dass PSSM2 bei Pferden ebenso genetisch bedingt ist wie PSSM1. Leider konnten aber bisher die verantwortlichen Genmutationen noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.
PSSM2 Test: Lohnt es sich?
Es werden zwar im Handel Tests auf PSSM2 – oft fünf Mal teurer als der Test auf PSSM1 – angeboten, aber solange nicht wirklich feststeht, was genau der Verursacher der Krankheit ist, kann man ihn auch nicht durch einen Gentest nachweisen. In diesen Tests wird nach Mutationen im MYOT Gen, Mutationen im FLNC Gen und Mutationen im MYOZ Gen gesucht.
Allerdings gibt es zwei unabhängige Studien (Valberg et al. 2020 und 2022), die belegen, dass diese Gentests auf PSSM2 nicht zuverlässig sind. 40 bzw. 57 % der untersuchten Pferde in zwei Beständen waren negativ getestet worden, obwohl sie Veränderungen in der Muskelbiopsie aufwiesen – also höchstwahrscheinlich positiv waren. Weitere 40 bzw. 66 % hatten ein positives Testergebnis, obwohl sie keine typischen Veränderungen in der Muskelbiopsie zeigten.
Ganz gleich, unter welcher Variante von PSSM ein Pferd leidet: Es zeigt Anzeichen von Muskelschmerzen. PSSM Symptome sind unterschiedlich stark ausgeprägt und zeigen sich zumeist bei Belastung – häufig nach Stehtagen. Hier eine Liste von Symptomen, die sowohl bei PSSM1 als auch bei PSSM2 auftreten können. Sie sind nach Schweregrad geordnet.
PSSM-Pferde nehmen bei akuten Krankheitsschüben auch häufig eine Position ein, als wollten sie Wasser lassen – doch letztendlich stellen sie sich wieder in die Normalstellung, ohne uriniert zu haben.
Der typische Auslöser für einen Krankheitsschub ist körperliche Belastung nach einem Ruhetag – vor allem, wenn die Futterration nicht an diesen Stehtag angepasst wurde. Zu kurze Aufwärmphasen können bei manchen Pferden ebenso den Ausbruch einer akuten Phase von PSSM triggern. Pferde mit Polysaccharide Storage Myopathy, die bisher unauffällig waren, zeigen oft erstmalig Symptome nach einer Futterumstellung.
Ein heftiger Krankheitsschub ist bei Pferden mit Polysaccharid Speicher Myopathie ein tierärztlicher Notfall. Die betroffenen Tiere haben Schmerzen und ihre Nieren müssen auf Hochtouren arbeiten, um Stoffwechselprodukte auszuscheiden, die aufgrund der abgestorbenen Muskelzellen entstehen.
Ohne tierärztliche Hilfe kann sich in schweren Fällen eine lebensbedrohliche Niereninsuffizienz entwickeln. Decke dein Pferd in so einem Notfall ein, auch wenn es schwitzt, und biete ihm möglichst lauwarmes Wasser aus einem Eimer am Boden an. Anschließend solltest du sofort einen Tierarzt anrufen.
Ganz wie der Kreuzverschlag und das Tying-Up-Syndrome (oder Traber-Myalgie) gehören PSSM1 und PSSM2 zu den sogenannten Belastungsmyopathien. Ein akuter Schub dieser Muskelkrankheiten hat in all diesen Fällen ähnliche Ursachen. Auch die Symptome ähneln sich stark. PSSM1 und PSSM2 beim Pferd sind allerdings unheilbare chronische Erkrankungen, während der Kreuzverschlag und das Tying-Up-Syndrome auch bei Pferden auftreten können, die ansonsten gesund sind.
Eine weitere Belastungsmyopathie, die Überanstrengungsmyositis, kann ebenfalls bei ansonsten gesunden Pferden auftreten. Dabei handelt sich es um eine Muskelentzündung, die zumeist am ganzen Körper oder an bestimmten überanstrengten Muskelpartien auftritt. Abgesehen von den erwähnten Belastungsmyopathien kann auch ein massiver Selenmangel beim Pferd Symptome verursachen, die denen eines leichten Schubs von PSSM ähnlich sind.
Wie bereits weiter oben beschrieben, unterscheiden sich bei PSSM1 und PSSM2 die Methoden der Diagnosestellung.
PSSM1 Diagnose
Nach einer umfassenden Anamnese wird dein Tierarzt dein Pferd klinisch untersuchen. Dabei tastet er verschiedene Körperteile ab, nimmt die Puls-/Atemwerte, misst unter Umständen die Körpertemperatur, nimmt Blut für eine Blutuntersuchung ab etc. Bei einer Verdachtsdiagnose auf Kreuzverschlag oder PSSM wird er dir dazu raten, einen Gentest für dein Pferd durchführen zu lassen. Dabei wird untersucht, ob das GYS1-Gen deines Pferdes eine Mutation aufweist. Wenn der Test positiv ausfällt, hat dein Pferd PSSM1.
PSSM2 Diagnose
Falls aufgrund der Krankengeschichte deines Pferdes ein begründeter Verdacht auf Polysaccharid Speicher Myopathie besteht, wird der Tierarzt seine Verdachtsdiagnose durch eine Muskelbiopsie bestätigen lassen. Durch krankheitsbedingte Veränderungen in den Muskelfasern lässt sich PSSM beim Pferd sicher nachweisen. Bei einem Bluttest während eines akuten Krankheitsschubs werden zwar erhöhte „Muskelwerte“ (die Muskelenzyme Kreatinkinase CK und Aspartataminotransferase AST) festgestellt, diese Werte bleiben aber nicht konstant. Deshalb lässt sich PSSM2 beim Pferd nicht durch einen Bluttest nachweisen. Der kommerzielle Gentest auf PSSM2 ist auch kein zuverlässiger Nachweis für die Polysaccharid Speicher Myopathie bei Pferden.
Bei beiden Typen der Polysaccharide Storage Myopathy wird dein Tierarzt in der Akutphase wahrscheinlich schmerzstillende und krampflösende Medikamente einsetzen. Nötigenfalls legt er eine Infusion, um das Blut zu verdünnen und die Entgiftung durch die Nieren zu unterstützen. Vielleicht verwendet er aber auch eine Nasen/Schlund-Sonde, um deinem Pferd lauwarmes Wasser einzuflößen.
Je nach deinen Angaben zur Fütterung deines Pferdes wird er ihm zusätzlich Selen und/oder Vitamin E und/oder Vitamin B spritzen. Unter Umständen kann in den ersten Stunden eines akuten Krankheitsschubs auch die einmalige Gabe von Glukokortikoiden (Kortison) angebracht sein. Allerdings wirklich nur einmalig, weil Glukokortikoide die Speicherung von Glykogen in den Muskeln fördern und das Risiko für eine Hufrehe durch Kortison drastisch erhöht wird. Die langfristige Behandlung von PSSM beim Pferd erfolgt über ein optimiertes Haltungsmanagement.
Erbkrankheiten können durch Naturheilmittel nicht ursächlich beeinflusst werden. Allerdings kann eine homöopathische Konstitutionsbehandlung durch einen mit der Materie vertrauten Tierheilpraktiker das Allgemeinbefinden deines Pferdes verbessern. Eine verbesserte Konstitution kann in Kombination mit Veränderungen im Trainingsplan und der Fütterung dazu beitragen, dass akute Krankheitsschübe seltener oder überhaupt nicht mehr auftreten.
Bitte deinen Tierarzt oder andere Fachspezialisten um die Erstellung eines individuell auf dein Pferd abgestimmten Fütterungsplans. Gönne deinem Pferd so viel Auslauf wie möglich – allerdings nicht auf Weiden mit jungem Gras. Das enthält viele Kohlehydrate, weshalb es für PSSM Pferde absolut tabu sein sollte. Lass dir von einem Reitlehrer oder Trainer dabei helfen, einen Trainingsplan zu erarbeiten, der deine Möglichkeiten und die individuellen Einschränkungen deines Pferdes berücksichtigt.
PSSM beim Pferd ist eine genetisch bedingte Stoffwechselkrankheit. Sie äußert sich unter anderem über wiederkehrende Krankheitsschübe mit milden bis schweren Symptomen, die den Anzeichen von Kreuzverschlag sehr ähnlich sind. Durch ein kompetentes Fütterungs- und Trainingsmanagement können diese Krankheitsschübe jedoch stark reduziert werden und bestenfalls gar nicht mehr auftreten.
Quellenangaben
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26278982/
https://avmajournals.avma.org/view/journals/ajvr/64/10/ajvr.64.10.1319.xml
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17764437/
https://ker.com/equinews/update-pssm-horses/
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36102343/
https://www.tierspital.uzh.ch/de/Pferde/Pferdemedizin/Dienstleistungen/Muskel/1-PSSM.html
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