Wenn Reiter nicht unbedingt zu den Fliegengewichten zählen, sollten sie unbedingt nachprüfen, ob sie nicht zu schwer für ihr Pferd sind. Fast jeder Reiter liebt sein Pferd – und doch kann es passieren, dass er ihm ungewollt Schmerzen zufügt. Pferde sind nicht von Natur aus zum Tragen von Lasten geeignet. Ihr waagerechter Rücken bietet sich zwar dazu an, aber er kann wesentlich weniger Reitergewicht vertragen als beispielsweise ein Muli. Um Verspannungen, Schmerzen und Folgeschäden wie Hufrollenentzündung, Belastungsrehe oder Kissing Spines zu vermeiden, solltest Du für Dein Pferd das „zulässige Gesamtgewicht“ von Reiter + Ausrüstung ermitteln.
Gute Frage – aber die Antwort ist nicht so einfach. Es gab schon zahlreiche Studien zum Thema „Reitergewicht“, die aber letztendlich nur mit pauschalisierten Antworten aufwarten können. Ganz klar: Wenn man beispielsweise von einem bestimmten Körpergewicht für eine Pferderasse ausgeht, ist das nicht für alle Pferde dieser Rasse gültig. Es gibt bei fast allen Rassen „Moppelchen“ und Hungerhaken“. Dasselbe gilt für das Stockmaß und für den Röhrbeinumfang.
Aufgrund dieser Eckdaten wurden Formeln entwickelt, mit denen Du grob bestimmen kannst, wie viel Reitergewicht Dein Pferd stemmen kann. Es kommen jedoch noch unzählige andere Faktoren hinzu, die bei der Ermittlung der Belastbarkeit Deines Pferdes eine wichtige Rolle spielen.
Hier ein kurzer Überblick über sämtliche Faktoren, die eine Auswirkung auf das Verhältnis zwischen Reitergewicht und Pferd haben:
Die Belastbarkeit eines Pferdes kann aufgrund seiner Größe nur sehr ungenau geschätzt werden. Die mittlerweile weit verbreiteten Tabelle des Merkblatts Nr. 185 „Reitergewicht“: Beurteilung der Gewichtsbelastung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten der TVT Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (Stand 1. September 2019) zeigt ganz klar auf, dass kräftige Ponys einen wesentlich höheren Röhrbeinindex haben als Pferderassen wie Quarter Horses, Warmblüter oder Kaltblüter, die bislang für Gewichtsträger gehalten wurden. Es gibt zwar eine Faustformel für Großpferde: Stockmaß in Zentimetern – 100 + 30. Sie berücksichtigt aber nicht, wie solide der Knochenbau ist und gilt nicht für Ponys.
Der Röhrbeinbelastungsindex ist ein Wert, der ermittelt wird, um die Belastbarkeit des Fundaments eines Pferdes zu ermitteln. Man geht davon aus, dass bei einem hohen RI die Knochen, Gelenke und Bänder eines Pferdes stabiler sind als bei einem niedrigen Wert. Wenn Du also Langzeitschäden durch zu hohes Reitergewicht vermeiden möchtest, solltest Du den Röhrbeinbelastungsindex Deines Pferdes austüfteln.
Das ist gar nicht so schwierig. Du misst einfach den Röhrbeinumfang an der schmalsten Stelle des Röhrbeins in Zentimetern und multiplizierst ihn mit 100. Das Ergebnis teilst Du dann durch das Körpergewicht Deines Pferdes und schon hast Du seinen Röhrbeinbelastungsindex herausgefunden. Der RI schwankt stark von Pferderasse zu Pferderasse. Mini-Shettys sind absolute Spitzenreiter, wenn es um das Verhältnis von Körpermasse zur Tragfähigkeit geht. Sie haben einen RI von mehr als 9. Quarter Horses, Haflinger, Warm- und Kaltblüter erreichen nicht einmal einen RI von 4.
Wenn es in Deiner Nähe keine Viehwaage gibt, findest Du das ungefähre Gewicht Deines Pferdes anhand einer einfachen Formel heraus. Dazu benötigst Du zwei Maßangaben: Brustumfang und Körperlänge. Der Brustumfang wird eine Handbreit hinter dem Ellenbogenhöcker über den Widerrist hinweg gemessen: also in etwa in der Gurtlage. Als Körperlänge gilt das Maß zwischen dem Knochen des Buggelenks an der Brust bis zum Ende des Sitzbeinhöckers.
Das Gewicht Deines Pferdes errechnest Du folgendermaßen: Körperlänge in Zentimetern hoch zwei multipliziert mit dem Brustumfang in Zentimetern. Das Resultat zeigt Dir das ungefähre Körpergewicht Deines Pferdes in Kilogramm. Wenn Du diesen Wert zum Ermitteln des RI einsetzen möchtest, darfst Du nicht vergessen, dass Übergewicht das Bild verfälscht. Ab 15 % Übergewicht sollte ein Pferd aber sowieso nicht mehr geritten werden, bis es wieder abgenommen hat. Es hat schon genug an seinem Fettvorrat zu schleppen.
Unsere Liste der Faktoren, die eine Auswirkung auf das Verhältnis von Reitergewicht und Pferd haben, zeigt auf, dass die Belastbarkeit eines Pferdes nicht anhand einer Tabelle eingeschätzt werden sollte. Wenn Du nach pauschalen Werten suchst, sind die Angaben des VFD (Verband Deutscher Freizeitreiter) recht realistisch. Als zulässiges prozentuales Verhältnis von Reitergewicht und dem Körpergewicht eines Pferdes gibt der VFD Folgendes an:
„15% Belastungsgewicht bei alten, jungen und wenig trainierten Pferden
17,5% Belastungsgewicht bei Reitanfängern, Gelegenheitsreitern und schwerfälligen Reitern
20% Belastungsgewicht als maximale Belastungsgrenze für alle anderen Reiter”
Du solltest diese Faustregel aber nicht pauschal anwenden, sondern auch noch die in unserer Liste angeführten Faktoren berücksichtigen. Wenn Du auf Nummer Sicher gehen möchtest, kannst Du Deinen Tierarzt um seine Meinung fragen.
Es gibt keine „Gewichtsträger per se“, sondern nur bestimmte Pferdetypen, die aufgrund ihres Körperbaus normalerweise mehr Reitergewicht stemmen können als andere. Dazu gehören beispielsweise die Isländer, die schon seit Jahrhunderten auf Robustheit und Belastbarkeit selektiert wurden. Wobei es natürlich auch bei Isis Unterschiede von Pferd zu Pferd gibt.
Generell kannst Du davon ausgehen, dass Pferde mit kurzem Rücken, kräftigen Beinen und einer starken Lende mehr Reitergewicht vertragen als elegante, feinknochige Pferdetypen. Laut der Tabelle des TVT sind aber Kaltblüter und Quarter Horses eher keine Gewichtsträger, obwohl sie so kräftig aussehen. Shetlandponys können hingegen aufgrund ihres hohen RI unter optimalen Umständen mit bis zu 60 kg gut ausbalanciertem Reitergewicht belastet werden, obwohl sie selbst nur etwa 200 kg wiegen.
Norweger, Highlandponys und Isländer haben einen recht guten RI und wiegen um 400 kg. Also können diese Rassen, wenn sie gut durchtrainiert sind, auch mehr Reitergewicht als 15 % ihres Eigengewichts verkraften. Allerdings spielt auch die Reitweise und der Sitz des Reiters eine wichtige Rolle. Bei 20 % – also in diesem Fall 80 kg Gesamtgewicht für Sattel und Reiter – verläuft aber die Rote Linie. Studien haben gezeigt, dass sogar die kräftig gebauten Isländer bei 25 % eindeutige Schäden davontragen.
Warmblüter, Araber oder Pasos sind im Verhältnis weniger tragfähig. Sie sollten also auch bei einem durchtrainierten Zustand von Reiter und Pferd mit nicht mehr als 17,5 % ihres Körpergewichts belastet werden. Für einen Warmblüter von 600 kg läge das empfohlene Belastungsgewicht also bei maximal 105 kg, für einen Paso von 440 kg bei maximal 77 kg und für einen Araber von 450 kg bei maximal 78 kg. Kurzfristig kann ein Warmblut auf weichem Boden auch 120 kg gut ausbalancierte Last stemmen, ein Paso 88 kg und ein Araber 90 kg. Alles, was darüber hinaus geht, fällt in die Sparte Tierquälerei.
Was passiert, wenn ein Pferd zu viel Reitergewicht tragen muss? Dazu hat es schon zahlreiche Studien gegeben. Als Erstes fällt auf, dass ein überbelastetes Pferd weniger stark untertritt. Seine Bewegungen verlieren an Raumgriff und wirken verspannt. Pferde mit akuten Schmerzen durch zu viel Reitergewicht reißen häufig den Kopf hoch und versuchen, vor der Situation davonzulaufen. Sie drücken den Rücken weg, trippeln und drängeln. Falls Sie bereits resigniert haben, wollen sie nicht vorwärts gehen und legen sich vielleicht auf die Hand.
Physiologisch gesehen passiert mit dem Stoffwechsel eines überforderten Pferd etwas, das eine übermäßige Ausschüttung von Milchsäure zur Folge hat. (Es würde hier zu weit gehen, das genauer zu präzisieren.) Dadurch übersäuert sein Organismus, wobei unter anderem die Entgiftungsorgane stark gefordert werden. Nützliche Bakterien können absterben und schlimmstenfalls kann durch die hohe mechanische Belastung der Huflederhaut eine Belastungsrehe entstehen.
Weitere anatomische Aspekte sind die Überdehnung von Sehnen und Bändern. Im Fesselbereich kann die starke mechanische Überlastung beispielsweise langfristig zu einer Hufrollenentzündung oder einer nicht ererbten Durchtrittigkeit führen. Im Rückenbereich kann eine Überdehnung nach unten frühzeitig einen Senkrücken und schlimmstenfalls die gefürchteten Kissing Spines verursachen. Hinzu kommen ziemlich wahrscheinlich Muskelverhärtungen und schmerzhafte Verspannungen.
Wenn Du Dein Pferd nicht als Konsumgut oder Sportgerät betrachtest, solltest Du unbedingt herausfinden, ob Du es nicht ungewollt überlastest. Falls dies tatsächlich der Fall ist, musst Du Dir aber nicht unbedingt ein anderes Pferd zulegen.
Du hast zwei weitere Alternativen: entweder aus Liebe zu Deinem Pferd abzunehmen oder in den Fahrsport einzusteigen.
Maßnahmen zum Erhalt der Pferdegesundheit auf einen Blick
Reiten lernen und auf dem Pferd tolle Abenteuer erleben. Reiten fördert den Muskelaufbau, steigert die Kondition und festigt die Beziehung zum Pferd.